Zerebrale Durchblutungsstörung (Schlaganfall)

Einführung

Etwa 350.000 Deutsche erleiden jährlich einen Schlaganfall (Apoplex). Jeder fünfte Betroffene stirbt innerhalb der ersten vier Wochen nach einem Apoplex, ein Drittel der Überlebenden bleibt pflegebedürftig. Die meisten Betroffenen sind über 65 Jahre alt. Der Schlaganfall rangiert unter den 3 Haupt-Todesursachen westlicher Industrienationen und stellt die häufigste Ursache einer Pflegebedürftigkeit im Erwachsenenalter dar.

Die Bezeichnung Schlaganfall impliziert, dass es sich um ein sehr plötzliches Ereignis handelt. Dennoch kommt ein Schlaganfall bei genauer Betrachtung meist nicht völlig unverhofft. Fast immer treten Monate vorher bereits Warnsignale auf - die vom Patienten jedoch nicht ernst genommen werden. Der informierte Patient hat hingegen Gelegenheit, durch Früherkennung dem drohenden Infarktes vorzubeugen. Bereits die Untersuchung seines Risikoprofils (besonderer Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalles nach der Statistik begünstigen) kann wirksame Behandlungen einleiten, bevor gefährliche Durchblutungsstörungen eintreten.

Drei unterschiedliche Ursachen

Schlaganfälle ("Gehirnschläge") können drei Ursachen haben: Thrombose, Embolie oder Blutung

40 - 50 % aller Schlaganfälle entwickeln sich infolge einer Thrombose. Dies ist eine Gefäßverstopfung durch Blutgerinnsel, die sich an einer meist atherosklerotisch stark vorgeschädigten Stelle der Gefäßwand bildet. Begünstigend sind Phasen verminderter Kreislaufaktivität (z.B. Schlaf, niedriger Blutdruck), jedoch auch eine erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes (z.B.: Flüssigkeitsmangel). Als Folge entsteht eine Mangeldurchblutung jenseits des Verschlusses.

30 - 35 % aller Schlaganfälle werden durch einen Embolus (Blutgerinnsel) ausgelöst. Im Unterschied zur Thrombose wird der Embolus an anderer Stelle gebildet - meist im Herzen, z.B. bei Herzrhythmusstörungen - und mit dem Blutstrom verschleppt. Er bleibt dort hängen, wo sein Durchmesser dem des Gefäßes entspricht. Die Folge ist eine sehr abrupte Unterbrechung der Blutversorgung.

20 - 25 % der Schlaganfälle werden durch den Austritt von Blut aus einer Hirnarterie (Hirnblutung, Hämorrhagie) verursacht. Meist sind unerkannte Schwachstellen oder Fehlbildungen der Hirnarterien ursächlich (z.B.: Aneurysma = Aussackung). Hirnblutungen werden durch Bluthochdruck und verminderte Gerinnungsfähigkeit des Blutes (z.B. medikamentöse "Blutverdünnung") begünstigt, ferner durch intrazerebrale venöse Stauung (z.B. "Sinusvenenthrombose").

Insgesamt ereignen sich 95% aller plötzlich auftretenden neurologischen Defizite aufgrund einer vaskulären (gefäßbezogenen) Ursache. In 50% handelt es sich um extrakranielle (außerhalb des Schädels gelegene) Gefäßschäden. Demgegenüber sind Enzephalitiden (Hirnentzündungen), Migräne, metabolische Störungen, Hirnödem, Tumor, Gasembolie oder psychische Ursachen seltene Ursachen für schlaganfallähnliche Störungen.

Was ist ein Schlaganfall?

Ein "Schlaganfall" bezeichnet die Reaktion des Gehirns auf eine plötzliche oder plötzlich vermehrte Störung der Durchblutung. Wenn der Blutstrom unterbrochen wird, fehlen den Gehirnzellen lebensnotwendige Substanzen, allen voran Sauerstoff (Reserve: nur wenige Minuten) und Glucose. Die Gehirnzellen der betroffenen Region verlieren ihre Funktionsfähigkeit und sterben ab. Für die Symptome ist die Geschwindigkeit der Schädigung, die Region und das Ausmaß entscheidend. Bei sehr allmählich einsetzenden Durchblutungsstörungen (Monate) kann das Gehirn durch Umgehungskreisläufe "gegenregeln", bei plötzlichem und völligem Verschluß einer Arterie keinesfalls. Das Gehirn konzentriert viele Funktionen in besonderen Strukturen. Je nach Lokalisation und Ausprägung der Schädigung sind einzelne oder mehrere, bestimmte Funktionen (motorische Kraft, Empfindungen, Sinneswahrnehmungen, Denkvermögen usw.) betroffen. Der erfahrene Arzt kann von den Symptomen auf die betroffene Region schließen.

Risikofaktoren

Ein Risikofaktor ist ein Umstand oder eine Verhaltensweise, die häufiger bei Menschen mit Schlaganfall auftreten als bei anderen. Ein Risikofaktor bedeutet nicht, daß Sie einen Schlaganfall erleiden werden, und die Behandlung oder Eliminierung eines Risikofaktors bedeutet auch nicht, daß man damit einen Schlaganfall sicher vermeiden kann. Das Risiko für einen Schlaganfall nimmt allerdings mit der Zahl und der Schwere der Risikofaktoren zu. Daher bietet sich hier ein sinnvoller Ansatz zur Vorsorge und Behandlung.

Der erhöhte Blutdruck (Hypertension) ist bei Weitem der wichtigste Risikofaktor für den Schlaganfall. Senkt man bei erhöhtem Blutdruck den systolischen (oberen) Blutdruckwert um nur 10 mm Hg, so läßt sich damit das Schlaganfallrisiko statistisch um etwa ein Drittel verringern Ale weitere Risikofaktoren sind zu nennen: Erhöhte Fibrinogenspiegel (ein Bestandteil des Blutgerinnungssystems), Diabetes mellitus (erhöhte Blutzuckerspiegel), Rauchen, sowie Lipoprotein A (eine Untergruppe des LDL - Cholesterins). Nachgeordnet finden sich viele weitere Faktoren, so z.B. ein erniedrigtes HDL - Cholesterin, körperliche Inaktivität, Adipositas, Ovulationshemmer (insbesondere in Verbindung mit Rauchen), hoher Alkoholkonsum, sowie natürlich höheres Alter. Für die Entstehung von Embolien sind oft Herzrhytmusstörungen oder eine Herzmuskelschwäche ursächlich (Blutklumpenbildung im Herzen).

Im Rahmen der Erkenntnis, daß entzündliche Veränderungen (z.B. durch Chlamydien-Infektion) bei der Entstehung von gefährlichen Gefäßablagerungen mitwirken, kann auch das sog. C-reaktive Protein (CRP) als Entzündungs-Marker bestimmt werden.

Vorboten eines Schlaganfalls

Im Rahmen einer Herzerkrankung oder einer Atherosklerose können kleine Blutklümpchen, Fettkristalle oder -tröpfchen winzige Hirnarterien verlegen und somit zu minimalen Störungen in den betreffenden Hirngebieten führen. Ebenfalls infolge einer Atherosklerose kann auch der Zustrom durch größere hirnzuführender Arterien durch eine zunehmende Engstelle behindert werden, und vorübergehende Durchblutungsstörungen hervorrufen.

Dies ist die "transitorische ischämische Attacke" (TIA).

Folgende Warnsignale können ein Hinweis darauf sein, dass ein Schlaganfall droht:

  • plötzliche Lähmung, Schwäche oder Empfindungsstörung im Bereich von Gesicht, Arm, Bein oder einer Seite des Körpers
  • plötzliche (meist einseitige) Sehminderung, Sehfeldbegrenzung, Doppelbilder
  • plötzliche Schwierigkeiten, zu sprechen oder Sprache zu verstehen
  • plötzliche Hör-, Geschmacks- oder Schluckstörungen
  • plötzliche starke Kopfschmerzen ohne plausible Ursache
  • plötzlicher unerklärlicher Schwindel, Gangunsicherheit, Schwanken oder gar Umkippen
  • erhebliche Müdigkeit ohne gegebenen Anlass

Die Symptome bestehen oft nur sehr kurze Zeit und verschwinden wieder - vermeintlich folgenlos. Deshalb werden sie häufig als harmlos abgetan. Diese Fehleinschätzung ist jedoch fatal! Ein Schlaganfall ist sozusagen eine Zeitbombe mit unbekanntem Zündungszeitpunkt, die nach Möglichkeit entschärft werden sollte! Also: Wer eines dieser Anzeichen bei sich selber, Angehörigen, Freunden und Kollegen wahrnimmt, sollte sofort an die Notwendigkeit einer ärztlichen Untersuchung denken!

Zu welchem Arzt zwecks Vorsorge?

Die erste Anlaufstelle ist der Hausarzt. Er vermag zu beurteilen, ob aufgrund Ihres Risikoprofils, Ihrer Beobachtungen oder Beschwerden ein Verdacht auf mögliche zerebrale Durchblutungsstörungen besteht. Eine gute Gefäßdiagnostik- und Therapie verlangt Spezialwissen und Kooperation aus mehreren Fachgebieten, insbesondere der Radiologie, Neurologie und Inneren Medizin (s. "Fachspektrum"). Ein gutes Untersuchungskonzept wird stets eine ausführliche Befragung, Blutentnahme zur Labordiagnostik, Blutdruckmessung, EKG, bildgebende Verfahren zur Gefäßuntersuchung (z.B. Farbdoppler) sowie auch zur Herzdiagnostik (Echokardiographie) und eine neurologische Untersuchung (bes.: Hirnnerven) umfassen (s.: Diagnostik). Der ledigliche Vollzug einzelner Methoden (etwa: Ultraschall-Doppler der Halsarterien) ist keinesfalls ausreichend!

Maßnahmen zur Vorsorge

Je früher ein Risikofaktor für einen Schlaganfall behandelt wird, desto eher läßt sich das fatale Geschehen abwenden. Alle genannten Risikofaktoren sind behandelbar: Blutdrucksenkung, Normalisierung der Blutfette, Gewichtsreduktion, Behandlung einer Herzerkrankung, Aufgabe von Rauchgewohnheiten. Die Kunst des Therapeuten ist es, diese Maßnahmen so durchzuführen, daß der Patient an Lebensqualität spürbar gewinnt. Nur dies sichert die langfristige Beständigkeit der Maßnahmen und ihrer Wirkung. Um die Verklumpungsneigung von Blutplättchen zu vermindern, eignet sich u.a der Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS, Produkt: z.B. Aspirin ®), bekannt als Schmerzmittel. Schon mit geringen Mengen ASS (100 - 200 mg pro Tag) sinkt das Schlaganfallrisiko um bis zu 20 Prozent. Der neue Wirkstoff Clopidogrel (z.B. Plavix ®) ist noch etwas wirksamer, jedoch auch wesentlich teurer. Bei Patienten mit einem besonders hohen Embolie- und Apoplexrisiko (z.B. nachgewiesene Thromben im Herzen oder vorausgegangene Arterienverschlüsse) bevorzugen die meisten Ärzte die "Blutverdünnung" mit einem Medikament, das die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wesentlich herabsetzt (z.B. Marcumar ®). Ist eine höhergradige Stenose (Engstelle) an einem Blutgefäß am Hals Ursache eines Schlaganfall - Vorbotens, sollte diese durch eine Operation oder "Schlüsselloch - Techniken" (Ballondilatation, Stenting) beseitigt werden.

Notfall - Behandlung

Ein Schlaganfall äußert sich durch Zeichen ähnlich der "Vorboten" mit dem wesentlichen Unterschied, daß sie heftiger ausfallen und nicht binnen Sekunden vorübergehen:

  • plötzliche Lähmung und/oder Empfindungsverlust im Bereich von Gesicht, Arm, Bein oder einer Seite des Körpers
  • plötzliche Erblindung oder Ertaubung (vollständig oder partiell)
  • plötzliche Sprachstörung
  • Bewusstseinsstörungen

Ein Schlaganfall ist ein Notfall, daher sollte sofort der Rettungsdienst gerufen und eine Krankenhauseinweisung veranlasst werden. Bei sofortiger Behandlung lässt sich der Schaden im Gehirn begrenzen. Die Art der Behandlung richtet sich nach der Entstehungsweise des Schlaganfalls. Ist die Ursache ein Blutgerinnsel im Gehirn selbst oder in einem der großen, hirnversorgenden Blutgefäße, so kann bei Erfordernis entweder die Verstopfung mit einer Lysetherapie (hochwirksame Medikamente, die über kleine Schläuche direkt in die Verstopfung gegeben werden; Risiko: Blutungen) oder je nach Lage ggf. auch operativ beseitigt werden. Verschleppte feste Gefäßablagerungen, Fettkristalle oder -tröpfchen sind auf diese Weise nicht zu entfernen, so dass nur eine Begleitbehandlung (Vermeidung einer Gehirnschwellung, Blutdruckregulation) bleiben. Wenn die Ursache eine Hirnblutung ist, muss diese rasch gestillt werden (Blutdrucksenkung, Beeinflussung der Blutgerinnung). Ist sehr viel Blut ausgetreten, kann eine operative Ausräumung zur Entlastung erforderlich werden. Dies geht umso einfacher, je weiter außen gelegen und je umschriebener die Blutung war.

Schweregrade von Schlaganfällen

Durchblutungsstörungen im Bereich des Gehirns können in verschiedenen Verlaufsformen (akut - chronisch) und in unterschiedlichen Schweregraden (asymptomatisch bis zum dauerhaften Funktionsverlust) entstehen. Unter klinischen Gesichtspunkten spricht man von einer "zerebrovaskulären Insuffizienz". Sie kann in Stadien eingeteilt werden, wobei unter Medizinern einige Abkürzungen gebräuchlich sind:

I: asymptomatisch

IIa: TIA (= transitorische ischämische Attacke, innerhalb 24 h voll reversibel)

IIb: PRIND (= prolongiert/partiell reversibles ischämisch - neurologisches Defizit, Restdefizit verbleibt)

III: ischämischer Schlaganfall (ohne Bewusstseinsverlust)

IV: PS (= progredienter Schlaganfall; dauerhaftes neurologisches Defizit, z. T. Bewusstseinsstörungen)

Bildet sich infolge einer Minderperfusion eine zerebrale Nekrose, so nennt man dies Hirninfarkt. Der Infarkt ist das "Endstadium" einer Durchblutungsstörung. Folgeereignisse in anderen Arealen sind nicht auszuschließen. 70% der Infarkte betreffen das Versorgungsgebiet der sog. Arteria cerebri media.

Diagnostik

Ziel der Diagnostik ist, bereits die Frühstadien von Schlaganfall-begünstigenden Gefäßerkrankungen festzustellen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Während am Beginn Befragung und körperliche Untersuchung sowie die "einfachen" diagnostischen Methoden wie Blutdruckmessung und Laboruntersuchungen stehen, folgen danach apparative Techniken für die exakte Statuserhebung und Diagnose. Die Beschaffenheit der Arterien, insbesondere der großen Arterien im Halsbereich, kann sehr gut mittels Ultraschall beurteilt werden. Die Farbdopplersonographie zeigt Gefäßwände, Blutfüllung und Strömungseigenschaften zugleich an. In frühen Stadien einer Atherosklerose - Jahre oder Jahrzehnte vor den ersten Symptomen! - misst man bereits eine Verdickung der Gefäßinnenschicht (Intima). Mit Spezialsonden können per Hautkontakt sogar Gefäße tief im Inneren des Schädels untersucht werden (transkranieller Doppler bzw. Farbdoppler). Ultraschalltechniken dienen auch am Herzen zur Suche nach Thromben und Herzfehlern (Echokardiographie). Rhythmusstörungen werden in EKG und Langzeit - EKG dargestellt. Das Gehirn selbst kann bildgebend sehr aussagestark mit MR - Techniken (MR = Magnetresonanz; synonym: Kernspin) untersucht werden. Areale mit frischen oder chronischen Durchblutungsstörungen sind gut erkennbar. Zugleich können die Hirngefäße bildlich dargestellt werden.

Diese Methode ist zwar in vielen Zentren verfügbar, jedoch nur selten rund um die Uhr für Notfalleinsätze besetzt.

CT & Angiographie

Eine ähnliche Untersuchung des Schädels ist die Computertomographie (CT, Röntgenverfahren). Sie zeigt frühe Infarktstadien und Blutungen sehr sensibel. Bei Unfällen (sog. Schädel-Hirn-Traumen) ist dies die Standardmethode der Primärdiagnostik.

Die gegenwärtig aussagekräftigste Methode zur Darstellung der Gefäße des Halses und des Hirngebietes ist die Angiographie. Sie erfolgt heute in digitaler Subtraktionstechnik, die eine erhebliche Reduktion der Strahlendosis bei hervorragender Detailerkennbarkeit gestattet. Über eine Punktion im Leistenbereich (in lokaler Schmerzfreiheit) wird ein spezieller Miniaturschlauch ("Katheter") bis in die Brustschlagader vorgeschoben und hierüber Kontrastmittel eingebracht, welches die Gefäße im Röntgenbild erkennbar macht. Bei Erfordernis kann mit noch weiter miniaturisierten Systemen bis in einzelne, kleine und kleinste Gefäße des Hirngebietes ("selektiv") weiter untersucht werden.

Über alle Untersuchungen, die spezielle Risiken tragen - und sei es nur die Anwendung von Magnetwellen - erhält der Patient eine spezielle schriftliche Aufklärung, d.h. eine detaillierte Information, der ein Gespräch mit dem Behandler folgt. Nur bei bewusstlosen oder nicht reaktionsfähigen Patienten darf von der "Aufklärung" abgesehen werden, wenn eine Maßnahme keinen Aufschub duldet.

Rehabilitation

Wenn es zu einem Schlaganfall gekommen ist, so kann zunächst in jedem Fall auf eine völlige Wiederherstellung gehofft werden. Ob sie wirklich zu erzielen ist, hängt neben dem Verlauf der ersten Tage im Krankenhaus ganz entscheidend von der Nachbehandlung ab. Viele Gehirnfunktionen sind wieder trainierbar, auch wenn dies manchmal mühsam sein mag. Umso hilfreicher ist eine frühzeitige, professionelle Rehabilitation in einer Spezialklinik, die oft ungeahnte Potentiale zu mobilisieren vermag.